? ! Die Vernissage - ein Ritual ? !
In den Zeiten moderner Medien und des Internets ist die persönliche Einladung zu einer Vernissage nicht mehr sehr aufregend. Man hinterlässt Namen und Adresse, am besten gleich die e-mail Angaben, die professionell gestaltete Einladung kommt ins Haus. Zwar ist bei der Vielzahl von Galerien, Museen und privaten Ausstellungsräumen der Besuch einer Vernissage nicht mehr ganz so verlockend, trotzdem hat ein solches Ereignis nichts von seiner Faszination verloren: Man freut sich auf neue Arbeiten eines bekannten Künstlers, möchte einen neuen Künstler und seine Werke kennenlernen und natürlich Freunde und Bekannte treffen.
Das Wort „Vernissage“ leitet sich ab vom französischen Substantiv „le vernis“, dem Firnis. Ein Gemälde war nicht vollendet, ehe es nicht den Firnis als
Schutzanstrich erhalten hatte. Diese Regel galt bis ins späte 19. Jahrhundert. Der Firnis gab dem Gemälde Glanz und schützte vor Verschmutzung. Spätere Korrekturen waren unmöglich, der Firnis
verhinderte weitere Farbaufträge. Manchmal vertraute der Künstler diesen letzten Arbeitsschritt Fachleuten an, den „Vernisseuren“.
Das künstlerische Geschehen im 19. Jahrhundert kreiste – besonders in England und Frankreich - um die Salons. Der „jour de vernissage“ oder „vanishing day“, der Tag vor der offiziellen Eröffnung, gab den Künstlern Gelegenheit, sich nicht nur selbst ins rechte Licht zu setzen, sondern auch die Konkurrenz zu begutachten. Später kamen Kunstkritiker hinzu, Galeristen, Förderer, Sammler und persönliche Freunde.
Während heute eine Einladung zur Vernissage relativ offen und breit gefächert erfolgt, war damals dieses Event für einen kleinen Kreis gedacht und unter besonderer Wahrung der Exklusivität. Die Verbindung von künstlerischer Premiere und gesellschaftlichem Ereignis schuf die Grundlage für die Vernissage. Einen Einblick in das gesellschaftliche und oft intrigante Geschehen rund um Künstler und Kunst findet man in den Romanen von Zola und Guy de Maupassant. Besonders Guy de Maupassant beschreibt anschaulich und spöttisch, wie sich Gräfinnen, Stutzer, Akademiker und nicht zuletzt Konkurrenten um die Bilder drängen.
Am 19. Januar 1913 wird in Berlin unter dem Titel „Lebenswerk“ die Ausstellung von Lovis Corinth eröffnet. Die Bewirtung anlässlich dieser Vernissage liest sich spektakulär:
„ 1 Schüssel Zunge, 1 Schüssel Coburger Schinken, 1 Schüssel Rehrücken jeweils mit Cumberland Sauce, 1 Schüssel Roastbeef mit Remoulade“.
(* Zitat 1)
Zum Glück (oder wie schade ?) ist das heutige kulinarische Angebot bei einer Vernissage weniger aufwändig: Sekt, Wein, „Häppchen“. Aber das Ritual ist in den
Grundzügen unverändert geblieben. Der meist schriftlichen Einladung folgt die Begrüßung durch den Galeristen, die Vorstellung des Künstlers durch den Festredner, einige Dankesworte des Künstlers
und die Gruppenbildung der Besucher. Auch dies ist ein interessantes Phänomen am Rande einer Ausstellungseröffnung: die Gruppen- und Grüppchenbildung bleibt nicht konstant. Rückt ein „wichtiger“
Gast ins Blickfeld, wird der bisherige Gesprächspartner ohne Bedenken gegen diesen ausgetauscht.
Wer sagt:“ ich gehe nicht zur Vernissage, da ist es viel zu voll, viel zu laut und von den Werken selbst sehe ich nichts“, hat das „Ritual Vernissage“ nicht verstanden. Dieter Begemann fasst treffend zusammen:
„Es wird deutlich, dass die Vernissage eine kollektive Inszenierung ist, in der das Publikum weit davon entfernt, nur passiver Zuschauer zu sein, Teil der Aufführung ist. Diese ist ein soziales Spiel der gegenseitigen kulturellen Bestätigung aller Teilnehmer. Wenn so eine aufwendige Veranstaltung gemacht wird, wird der Künstler wichtig, wenn so viele Gäste im Kreis stehen und lauschen, kann der Laudator mit Schwung sprechen, wenn alle so laut durcheinander reden, müssen sie sich blendend amüsieren…“
(* Zitat 2)
Es lebe die Vernissage !
©Jutta Briehn
* Zitat 1: „1913“, Florian Illies
* Zitat 2: „Die Vernissage oder jetzt werde ich berühmt“,
Dieter Begemann
* Foto 1: „Vernissage au salon“, B. Perat
* Foto 2: „Vernissage PAK, Stadthalle Kronberg